Digitalisierung

BGH-Urteil zur Werbung für Fernbehandlungen

14. Dezember 2021

Die Ausgangslage

Eine private Online-Krankenversicherung hatte auf ihrer Website den „digitalen Arztbesuch“ über eine App angekündigt. Beworben wurde neben Diagnose und Therapieempfehlung auch die Krankschreibung per App. Wörtlich hieß es: „Warum du den digitalen Arztbesuch lieben wirst. Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App.“ Bei den sogenannten „eedoctors“, die die beworbene Fernbehandlung durchführen sollten, handelte es sich nach Angaben des Unternehmens um erfahrene Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz.

Die Wettbewerbszentrale wollte wissen, ob rein digitale Primärversorgungsmodelle, also solche ohne jeglichen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt, den Anforderungen von § 9 Heilmittelwerbegesetz (HWG) genügen. Nach § 9 HWG ist die Werbung für heilberufliche Fernbehandlungsleistungen nämlich nur dann erlaubt, „wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.“ Was die dort genannten Standards sind, war bislang vollkommen ungeklärt. Vor diesem Hintergrund hatte die Wettbewerbszentrale den Krankenversicherer auf Unterlassung in Anspruch genommen.

Die Entscheidung

Der BGH hat in dem Verfahren nun vor wenigen Tagen (Urteil 9.12.2021, Az.: I ZR 146/20) entschieden unter welchen Voraussetzungen für ärztliche Fernbehandlungen geworben werden darf: Es kommt nicht auf die berufsrechtlichen Regeln des behandelnden Arztes an und damit auch nicht darauf, ob die beworbene Fernbehandlung ggf. im Ausland (hier: der Schweiz) zulässig ist. Entscheidend für den Begriff des allgemein anerkannten fachlichen Standards sind die zivilrechtlichen Regelungen zum medizinischen Behandlungsvertrag (§ 630a Abs. 2 BGB) und die dazu ergangene Rechtsprechung. Das heißt, dass die medizinischen Standards anhand der Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften oder den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (§§92, 136SGBV) entwickelt werden.

Nach diesen Voraussetzungen beurteilte der BGH die beanstandete Werbung ohne Bezugnahme auf konkrete Krankheitsbilder als unzulässig, da die hier beworbene umfassende Tele-Primärversorgung nicht den bestehenden, allgemeinen fachlichen Standards entspricht.

Hinweis

Die Urteilsgründe zur Entscheidung des BGH vom 9.12.2021 (Az.: I ZR 146/20) sind noch nicht veröffentlicht. Die Pressemitteilung (Nr. 224/2021) des BGH finden Sie hier: www.bundesgerichtshof.de.

Die Konsequenzen

Sofern zahn-/tier-/ärztliche Praxen oder andere Leistungserbringer telemedizinische Leistungen aktuell bewerben, sollten diese ihre Werbeinhalte am Maßstab der BGH-Entscheidung zum § 9 HWG prüfen. Das heißt insbesondere, dass nicht pauschal für Fernbehandlungsleistungen geworben, sondern indikationsbezogen informiert werden sollte. Ärztliche Praxen können sich hierbei an dem Katalog von Erkrankungen orientieren, bei denen die Erstfeststellung einer Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der Videosprechstunde grundsätzlich in Betracht kommt:

  • Erkältung

  • Menstruationsbeschwerden

  • Blasenentzündung

  • Magen-Darm-Infekt

  • Migräne

  • Schübe, z.B. bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen

  • Reaktion auf schwere Belastung und Anpassungsstörungen (z.B. bei Verlust von nahestehenden Angehörigen)

Hinweis

Die Tragenden Gründe zur Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie – die den nicht abschließenden Katalog von möglichen AU-Konstellationen – finden Sie auf der Website des Gemeinsamen Bundesausschusses.

Dieser Artikel ist von

Meike Schmucker

LL.M. Medizinrecht
Consultant Arztmarkt, Redakteurin

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