Ein Titelbild von Jessica Hanneken vor einem gelben Hintergrund zum Thema "Jessicas Take-outs".

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Jessicas Take-outs zum Gesundheitskongress des Westens

Die Frage, wie wir medizinische Versorgung unter den Bedingungen zunehmender Knappheit organisieren können, bewegt derzeit alle Bereiche des Gesundheitswesens. Beim diesjährigen Gesundheitskongress des Westens hatte ich die Gelegenheit, eine Podiumsdiskussion zur Patientensteuerung in der Regelversorgung zu moderieren – ein Thema, das aktueller kaum sein könnte.

06. Juni 2025

Der Druck im Gesundheitssystem, besonders in der ambulanten Versorgung, nimmt immer weiter zu.

Drei Hauptfaktoren sind dafür verantwortlich:

  • der anhaltende Fachkräftemangel

  • der demografische Wandel

  • die steigende Zahl komplex erkrankter Patient:innen

Diese Herausforderungen erfordern eine effizientere Nutzung der verfügbaren Ressourcen.
Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen belastet das System enorm. Über 50.000 Stellen bei Haus- und Fachärzt:innen in Deutschland sind unbesetzt. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Versorgung, da die Bevölkerung älter wird und chronische Erkrankungen zunehmen. Zusätzlich wächst die Zahl komplexer Erkrankungen, was die Behandlungen aufwendiger und spezialisierter macht. Die Patient:innen erwarten eine schnelle, qualitativ hochwertige Versorgung.

Eine Umfrage der GKV zeigt, dass 25 % der Patient:innen in Deutschland über 30 Tage auf einen Facharzttermin warten müssen – ein weiteres Zeichen der Belastung. Täglich gibt es rund 3,8 Millionen Arzt-Patient:innen-Kontakte und 50.000 Notfallbehandlungen. Praxen decken 97 % aller Behandlungsfälle ab. In der Diskussion wurde klar: Eine gut durchdachte Patientensteuerung ist keine Einschränkung, sondern ein notwendiger Schritt, um die Versorgung effizienter und gerechter zu gestalten. Ziel ist es, medizinische Leistungen dort bereitzustellen, wo sie am dringendsten benötigt werden, und Über-, Unter- oder Fehlversorgung zu vermeiden.

Steuerung – nicht als Kontrolle, sondern als Orientierung

Patient:innen wünschen sich klare Wege durch das System. Doch aktuell führt die Vielzahl von Angeboten und der freie Zugang zu allen Arztgruppen häufig zu einer ungelenkten Inanspruchnahme, die das System überlastet – bei gleichzeitigem Risiko, dass gerade Menschen mit hohem oder komplexem Behandlungsbedarf nicht rechtzeitig versorgt werden. Eine gut gestaltete Steuerung kann helfen, genau diese Versorgungslücken zu schließen und die vorhandenen Kapazitäten verantwortungsvoll zu nutzen. Effekte einer gezielten Steuerung zeigen sich auf mehreren Ebenen:
Sie verbessert die Koordination, insbesondere bei chronisch kranken und multimorbiden Patient:innen. Sie entlastet die ärztlichen Praxen, indem Doppelvorstellungen oder unnötige Behandlungen vermieden werden. Und sie kann Wartezeiten verringern, indem medizinische Notwendigkeit und Versorgungskapazitäten besser aufeinander abgestimmt werden.

Vier zentrale Handlungsfelder
Die Diskussion machte deutlich: Patientensteuerung kann nur gelingen, wenn sie auf mehreren Ebenen gleichzeitig ansetzt. Vier Bereiche wurden insbesondere von der KV Nordrhein betont:

Strukturierte Versorgungsprogramme
sollen eine bessere Versorgung chronisch und mehrfach erkrankter Menschen ermöglichen – indikationsbezogen, sektorenübergreifend und auf Basis des Kollektivvertrags.

Digitale Terminkoordination, etwa über 116117.de, schafft Transparenz und hilft, Patient:innen schneller an die richtige Stelle im System zu lotsen.

Erweiterte Delegationsmöglichkeiten für qualifizierte Fachkräfte in den Praxen entlasten die Ärzteschaft und erhöhen die Versorgungskapazitäten.

Flankierende Maßnahmen – von Aufklärung über Versorgungswege bis hin zur kritischen Bewertung des Leistungskatalogs – unterstützen die Wirksamkeit der Steuerung insgesamt.

Die genannten Bereiche aus der Diskussion werden auch im Koalitionsvertrag aufgegriffen:
Für Patient:innen mit schweren chronischen Erkrankungen sollen Lösungen wie Jahresüberweisungen oder Fachinternist:innen als steuernde Primärärzt:innen entwickelt werden. Die KV und die 116117 sollen Termine für Facharztbesuche koordinieren und dabei einen „Termingarantie“-Korridor festlegen. Falls dies nicht gelingt, wird der Zugang über das Krankenhaus ermöglicht. Insgesamt soll die ambulante Versorgung gezielt verbessert werden, indem Wartezeiten verringert, das Personal in ärztlichen Praxen entlastet und den Zugang zu Fachärzt:innen bedarfsgerecht und strukturierter gestaltet werden.

Herausforderungen und offene Fragen
Die Umsetzung wirksamer Steuerungsmechanismen ist mit Herausforderungen verbunden. Es braucht neue Finanzierungsmodelle, digitale Infrastrukturen, die alltagstauglich sind, und ein gemeinsames Verständnis aller Beteiligten – von der Politik über die Ärzteschaft bis hin zu den Patient:innen. Digitalanbieter:innen spielen dabei eine zentrale Rolle, indem sie durch Plattformen zur Terminvereinbarung, telemedizinische Angebote und digitale Ersteinschätzungen den Zugang zur Versorgung erleichtern und die Patient:innen effizient im System steuern.

Die Frage der Akzeptanz steht im Mittelpunkt der Diskussion über erfolgreiche Patientensteuerung. Steuerung wird nur dann effektiv sein, wenn sie transparent, nachvollziehbar und freiwillig gestaltet wird. In diesem Zusammenhang wurde auch über mögliche Strafen bei Terminausfällen sowie die Wiedereinführung der Praxisgebühr diskutiert.

Solche Maßnahmen könnten jedoch das Vertrauen der Patient:innen in das System beeinträchtigen, da sie als bürokratische Hürden wahrgenommen werden könnten. Statt strikter Sanktionen muss ein Ausgleich zwischen Verbindlichkeit und Wahlfreiheit gefunden werden, um ein System zu schaffen, das nicht nur den aktuellen, sondern auch den zukünftigen Anforderungen gerecht wird.

„Patientensteuerung ist kein theoretisches Konstrukt, sondern eine zentrale Zukunftsaufgabe. Sie kann dazu beitragen, Versorgung gezielter, gerechter und verlässlicher zu organisieren – vorausgesetzt, sie wird intelligent geplant, gut kommuniziert und im Sinne der Patient:innen umgesetzt.“

Jessica Hanneken, VP Investment & Strategy Management und Mitglied der Geschäftsleitung

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